In einem Impuls zum Angelus vom 22. Dezember 2020 hat Bischof Manfred Scheuer über das Magnifikat, den Lobgesang Mariens, gesprochen:
Liebe Hörerinnen und Hörer!
Maria ist die Sängerin des Magnifikat: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ Magnifikat heißt wörtlich übersetzt: groß machen. Maria lässt Gott in ihrem Leben groß werden. Wenn sie das tut, ist das nicht im Sinne zu denken, dass da einer ganz groß ist und die andere ganz klein, auf der einen Seite der Herr und auf der anderen Seite der Kecht. Wenn Gott groß wird im Leben Mariens, so entspringt das auch keiner Vergatterung und keinem Kommando. Gott ist ja kein Rivale und keine Konkurrenz von uns Menschen. Er ist auch kein Vampir, der uns Menschen den Lebenssaft aussaugt. Im Gegenteil: Er ist ein Freund und Liebhaber des Lebens (Weish 11,26). Jesus ist gekommen, damit wir Leben in Fülle haben (Joh 10,10). „Die Ehre Gottes, das ist der lebendige Mensch“ (Irenäus v. Lyon). Gott wird also nicht dann groß gemacht, wenn ein Mensch faul oder feig sein Leben, sein Talent, sein Charisma begräbt.
Maria kann Gott groß machen, weil Er sie beim Namen kennt und ruft, weil Er an ihr Großes tut. Sie fasst ihre bisherigen Erfahrungen, ihre gesamte Biographie als Lob, als Zustimmung zu Gottes Willen und als Freude zusammen. Vielleicht ist dieser Ausdruck des Lobens für manche überflüssig geworden. In einer technischen Welt kommt das Loben nicht vor. Maschinen, Produktionsfaktoren, Computer, die können nicht loben. Auch ein Leben, das nur durch Arbeit und Schuften definiert ist, findet nicht den Weg zum Lob. Und wenn wir uns als Menschen selber produzieren oder leisten wollen, dann hat das Loben keinen Platz. Und wer nur um die eigenen Interessen kreist, verliert andere aus den Augen. Er kennt keine Anerkennung, kein Lob.
Loben entspringt der Liebe und der Freude. In unseren sprachlichen Wurzeln gehören lieben, loben, glauben, leben zusammen. Das Loben ist Sprache des Glaubens. Im Glauben wird mir zugesagt, was ich mir selber nicht sagen kann: nämlich, dass ich von Gott gut geheißen werde. Durch eigenes Leisten und Machen, auch durch Grübeln oder Denken ist das nicht zu erreichen. Und wo nicht mehr gelobt wird, da wird nicht mehr gelebt: „Die Toten loben Gott nicht mehr“ (Ps 115,17).
Liebe muss loben, sie braucht diesen Ausdruck, sonst stirbt sie langsam aber sicher. Die Unterdrückung des Lobes, des Lobgebetes, ist die Unterdrückung der Liebe.
Lob ist hörbare innere Gesundheit. Ein gesunder Mensch kann eine sehr bescheidene Mahlzeit loben; ein Magenkranker oder auch ein Snob finden an allem etwas auszusetzen. Ein nörgelndes und mit allem unzufriedenes Zeitalter bringt letztlich kranke Menschen hervor. Ohne Lob werde ich krank.
Maria ist die Sängerin des Magnifikat. Sie eröffnet als Glaubende, als Lobende Räume für Gott. Sie eröffnet Räume des Lebens, des Vertrauens und der Hoffnung. „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter!“